„In Ebensee stehen die Menschen auf Brücken oder wuseln mit dem Rad ohne erkennbare Regeln durch den Ort.“ So hätte man Ebensee vor gar nicht langer Zeit durchaus beschreiben können.
Besonders auffallend war die unglaubliche Zahl an Fahrrädern, die sich, im wahrsten Sinn des Wortes, ihren Weg durch den Ort bahnten. Es war Jung und Alt unterwegs. Traf man eine Bekanntschaft oder wollte den neuesten Tratsch von den Brückenstehern hören, wurde urplötzlich und ohne Andeutung vom Rad gesprungen. Natürlich immer zur Fahrbahnmitte und wehe es wagt jemand zu hupen. Geradelt wurde mit Schirm, Krücken, Wanderstock, Kind am Gepäckträger oder einer Einkaufslast, die heute jeden Fahrradboten zum Berufswechsel animieren würde. Passiert ist trotz der originellen Verhaltensweisen wenig. Wieso eigentlich?
Einheimische in ihren Autos kannten die Regeln, weil sie sehr einfach waren:
1. Fahrräder haben Vorrang. Immer!
2. Halte Abstand! Rechne mit dem Schlimmsten.
3. RadfahrerInnen haben immer recht! Ist so.
Für Auswärtige eine harte Lektion, aufgrund der Einfachheit aber rasch erlernbar. In Ebensee bestimmte das Fahrrad Tempo und Verkehrsfluss.
Bei einer derartigen Hoheit über den Verkehr wundert es nicht, dass 1992 noch fast 20 Prozent der täglichen Wege in Ebensee mit dem Fahrrad absolviert wurden. Der landesweite Durchschnitt betrug damals nur rund sieben Prozent. Inzwischen hat sich dieser Anteil aber bei uns fast halbiert.
Das meist lockere Miteinander zwischen Auto- und Radverkehr gibt es in dieser Form nicht mehr. Der Autoverkehr hat drastisch zugenommen, der Respekt untereinander aber deutlich abgenommen. Autos sind der bestimmende Faktor, das Radfahren im Ort ist unbequem und gefährlich geworden.
Will man wieder mehr Fahrräder auf die Straße bringen, müssen sich die Rahmenbedingungen verbessern. Das ist wohl die Erkenntnis, die sich aus dieser langen, romantischen Einleitung ergibt. Zustände wie anno dazumal wird es nicht mehr geben, denn heutzutage kann sich auch Ebensee der Straßenverkehrsordnung nicht widersetzen. Aber es gibt trotzdem genügend Möglichkeiten, um das gesunde, billige und umweltfreundliche Radfahren im Ort wieder deutlich attraktiver zu machen.
- Temporeduktion für den motorisierten Verkehr. Was früher freiwillig ging, muss heutzutage vorgeschrieben werden.
- Ein übergeordnetes Rad- und Fußwegnetz durch Ebensee, welches wieder Sicherheit bietet.
- Berücksichtigung der Bedürfnisse des Radverkehrs bei Neuplanungen. Verbesserungen im Nachhinein sind meist schwer möglich.
- Entschärfung von Kreuzungen und klare, eindeutige Beschilderungen.
- Überdachte Abstellanlagen für Räder bei öffentlichen Gebäuden, Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs und Freizeitanlagen.
- Einbindung des überregionalen Radweges.
- Erstellung eines fahrradfreundlichen Ortsplanes.
- Kooperation mit den Trägern des öffentlichen Verkehrs, um neue Haltestellen auch fahrradfreundlich zu gestalten.
- Kooperation mit Schulen, öffentlichen Einrichtungen, Geschäften und Unternehmen.
So wie früher wird es aus vielen Gründen nicht mehr. Aber mit gutem Willen und viel Anstrengung kann sogar etwas Besseres entstehen. In den 90er-Jahren hatte Ebensee den Titel „Fahrradfreundliche Gemeinde“. Vielleicht schaffen wir das wieder.
Dipl. Ing.in Christa Tatár
Christa ist unsere Fachfrau für Bau, Verkehr, Raum- und Ortsplanung. Sie ist Ersatzgemeinderätin und Mitglied im Ausschuss für Bau, Verkehr, Straßen und örtliche Raumplanung. Zusätzlich engagiert sie sich ganz besonders in Umwelt- und Sozialangelegenheiten.
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