Von März bis Ende Juni verbringt die Architektin und Urbanistik-Studentin Tanja Stapelbroek ein Semester im Rahmen eines Rurasmus-Projekts und der Kulturhauptstadt 2024 in Ebensee. Während ihres unbezahlten Praktikums beschäftigt sie sich mit dem Thema Leerstand in der Marktgasse. Weil uns Baukultur und Erhalt der alten Ortsteile wichtige Anliegen sind, schätzen wir die von Tanja bereits gesetzten Akzente sehr und haben sie um ein Interview gebeten.
Sicher oft gehörte Frage: was tust du eigentlich?
Ich mache hier im Rahmen meiner Forschungsarbeit eine Prozessanalyse, die ich auch für meine Masterarbeit nutze. Ich versuche Strukturen zu finden, damit sich die Menschen mit dem Thema Leerstand beschäftigen und nicht nur ins Reden, sondern zum Machen kommen. Wichtig ist es, mit ihnen zu reden, ihre Meinungen und Erwartungen zu erfahren und sie für den Prozess zu aktivieren. Dies benötigt ein Zusammenspiel zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.
Dein Eindruck speziell von der Marktgasse?
Für mich ist die Marktgasse nicht leer, sondern die Hälfte ist ja bespielt – manchmal klar sichtbar und manchmal etwas versteckter. Aber natürlich kann sich das mit der Erinnerung an die Vergangenheit, als es überall noch große und kleine Geschäfte gab, nicht messen. Denn alle reden von der guten alten Zeit, als es überall noch Geschäfte gab und die Marktgasse wirklich ein Zentrum des Ortes war. Eine verständliche und normale kollektive Erinnerung vor allem der älteren Bevölkerung, welche das tatsächlich noch erlebt hat und nicht nur aus Erzählungen kennt.
Wie bist du mit den Menschen und sie mit dir zurechtgekommen?
Selbstverständlich war es wichtig, zuerst mit den Eigentümer:innen und der Anrainerschaft ins Gespräch zu kommen. Insgesamt habe ich von den Menschen einen positiven Eindruck. Ich bin überall gut aufgenommen worden, alle waren sehr hilfsbereit und ich konnte mit fast allen in der Marktgasse reden und ihre Vorstellungen kennenlernen.
Weil ich mein Büro – oder wie ich es nenne: Labor – direkt in der Marktgasse habe und sozusagen in der Auslage sitze, wurde die Neugier der Menschen geweckt. Alle konnten einfach bei mir vorbeikommen und mit mir sprechen. Ich habe in diesen Gesprächen viele Ideen, Erfahrungen, Wünsche und Meinungen sammeln können. Gleichzeitig hoffe ich natürlich, dass andererseits die Leute auch von mir etwas mitnehmen konnten.
Wie du sagst, hast du dir in der Marktgasse ein „Labor“ eingerichtet. Was kann sich daraus entwickeln?
Ich nenne es ein Partizipationslabor. So sitze ich jetzt in der Marktgasse mittendrin und bin da, wenn Leute einfach zum Reden vorbeikommen wollen. Ich zeige damit, dass etwas passiert und erste Schranken werden durchbrochen. Es geht darum, den Interessiertenkreis zu vergrößern, die Resignation zu stoppen und auch um Ermächtigung der Anrainerschaft.
Es kann also ein Anstoß sein oder ein Beginn einer weiteren Entwicklung, die jedoch andere in die Wege leiten, begleiten und vorantreiben müssen. Mehr kann und darf man sich nicht erwarten.
Du warst auch mit mehreren Veranstaltungen sehr aktiv. Deine Highlights?
Spannend war natürlich der Einstieg im März. Mit den Mitgliedern der Baukultur-Gruppe und vielen Interessierten gab es einen Spaziergang durch die Marktgasse und angrenzende Bereiche. Hier konnte ich bereits einige Menschen, die im Besitz einiger Immobilien sind, kennenlernen und teils ihre Lebensgeschichten erfahren.
Beim ersten Workshop im Hotel Post, zu dem alle Ebenseerinnen und Ebenseer eingeladen waren, ging es um das Einbringen von Ideen und auch um die Übernahme von Verantwortung für einen Ortsteil in Ebensee.
Die Veranstaltung von Jakob Kinz düstre Planeten war ebenfalls sehr interessant. Hier durften das Agenda-Team und ich kooperieren. Gemeinsam mit anderen Studierenden haben wir die Chance genutzt, um zusätzlich die Marktgasse zu bespielen. Beispielsweise stellten wir in ansonsten leeren Schaufenstern örtliches Kunsthandwerk aus. In Umfrageaktionen wurde versucht Kontakte zu sammeln, um zu erfahren, wer mit künstlerischem Talent die Marktgasse zeitweise nutzen möchte oder mit eigenen Kontakten zur Aktivierung beitragen könnte.
Mir ist aufgefallen, dass die Marktgasse von Jugendlichen wenig genutzt oder eher sogar gemieden wird. Deshalb habe ich einen Workshop im Jugendzentrum veranstaltet, um ihre Motive dafür kennenzulernen.
Immer wieder bin ich auf die Menschen zugegangen oder stellte mich auf den Wochenmarkt. Hier wollte ich vor allem aufmerksam machen, dass Leerstand in der Marktgasse den ganzen Ort betrifft und bei einer Weiterentwicklung auch wiederum ein möglichst großer Teil der Bevölkerung eingebunden werden muss.
Ein weiterer Workshop wurde Ende Mai in Zusammenarbeit mit dem Frauenforum Salzkammergut im Rahmen ihres EU-Projekts Fair Mobility im Gebäude der Haltestelle Landungsplatz veranstaltet. Dabei ging es generell um die Belebung des Ortszentrums, den Umgang mit Leerstand und die vorhandenen oder gewünschten Mobilitätsangebote. Denn letztlich sind das alles verknüpfte Themen.
In welche Richtung kann sich die Marktgasse entwickeln?
In den Partizipationsprozessen hat sich der Bereich Kunst und Kunsthandwerk als große Stärke von Ebensee herausgestellt. Das wäre eine Möglichkeit, um darauf aufzubauen und unter dem Schlagwort MARKT-Gasse dieses Zentrum neu zu beleben. Aber das ist nur eine Option für den Ort – wirklich machen müssen das dann andere. Ich analysiere und erstelle Unterlagen, die für ein Konzept verwendet werden können.
Du bist also keine Kümmerin, die ein allfälliges Projekt begleitet, organisiert und vorantreibt?
Richtig, das bin ich nicht. Ortskernbelebung ist ein langwieriger Prozess und braucht viel Zeit und andauernde Strukturen. Meine Rolle besteht darin, diesen Stein ins Rollen zu bringen und Grundlagen für Entscheidungen und Projekte zu sammeln.
Ein Kümmerer oder eine Kümmerin ist aber als langfristige Struktur sicher sinnvoll. Solche Personen können für den Erfolg des Projektes essentiell sein, können jedoch trotzdem scheitern, wenn der Ort als Gemeinschaft nicht hinter dem Projekt steht. Eine Gemeinde kann und darf sich nicht darauf verlassen, dass damit alles automatisch zu einem guten Ende kommt. Es bedarf der Beiträge von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft für das Gelingen einer solch umfangreichen und langwierigen Entwicklung.
Womit sich der Kreis des Interviews sozusagen schließt. Wir danken herzlich für das Gespräch und deine geleistete Arbeit!
Franziska Zohner-Kienesberger
Vizebürgermeisterin
Obfrau Schulausschuss
Obmannstellvertreterin Sportausschuss
Mitglied Personalbeirat
Hans Schilcher
Gemeindevorstand
Obmann Jugendausschuss
Mitglied Verkehrsausschuss
Ersatzmitglied Umweltausschuss